Besteuerung von Grenzgängern zwischen Schweiz und Liechtenstein

Seit 2016 regelt ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein die steuerlichen Rahmenbedingungen für tausende Arbeitskräfte, die täglich zwischen beiden Ländern pendeln. Im Folgenden wird auf das seit dem 1. Dezember 2021 geltende DBA sowie die unterschiedlichen steuerlichen Praktiken beider Länder in Bezug auf die Besteuerung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern eingegangen.

 

Wie wird das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen der Schweiz und Liechtenstein angewendet?

Die Besteuerung von Erwerbseinkommen aus grenzüberschreitender unselbständiger Erwerbstätigkeit erfolgt prinzipiell nach dem sogenannten Erwerbsortprinzip. Dabei wird das Erwerbseinkommen anteilig in den Staaten besteuert, in denen die Arbeitnehmenden ihre Arbeit physisch ausüben.

Eine Ausnahme bildet die Monteurklausel, häufig auch als 183-Tage-Regel bezeichnet. Das Besteuerungsrecht verbleibt vollumfänglich im Ansässigkeitsstaat der Arbeitnehmenden, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  • Die arbeitnehmende Person hält sich im Tätigkeitsstaat weniger als 183 Tage im Kalenderjahr auf (Aufenthaltstage nicht nur Arbeitstage);
  • der Lohn wird nicht von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt, der im Tätigkeitsstaat ansässig ist;
  • der Lohn wird nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung getragen, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat unterhält.

 

Was gilt für Grenzgängerinnen und Grenzgänger?

Art. 15 Abs. 4 des DBA CH-FL enthält eine Spezialbestimmung für die Besteuerung von Erwerbseinkommen von Grenzgängerinnen und Grenzgängern. Werden sämtliche Voraussetzungen für den Grenzgängerstatus erfüllt, wird die Besteuerung des Erwerbseinkommens, abweichend vom erwähnten Erwerbsortprinzip, vollumfänglich dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmenden zugewiesen.

Definition von Grenzgängerinnen und Grenzgängern

Steuerliche Grenzgänger mit Wohnsitz in Liechtenstein und Arbeitsort in der Schweiz entrichten in der Schweiz keine Quellensteuern, sondern versteuern ihr gesamtes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit im Ansässigkeitsstaat Liechtenstein. Nach der Definition des DBA CH-FL qualifizieren Arbeitnehmende als Grenzgänger, wenn sie:

  • einer unselbständigen Tätigkeit nachgehen,
  • in der Regel täglich die Grenze überqueren und
  • nach Arbeitsende wieder vom Arbeitsort in den Wohnsitzort zurückkehren.

Als Wohnsitzort gilt in der Regel der Ort, in welchem die Arbeitnehmenden den Lebensmittelpunkt haben. Das Protokoll zum DBA CH-FL präzisiert, dass als Wohnsitz das Hauptsteuerdomizil gilt. Ein Wochenaufenthalt oder eine Zweitwohnung im Tätigkeitsstaat führt in der Regel dazu, dass der Grenzgängerstatus entfällt.

Weiter zu beachten ist, dass das Grenzgängerabkommen grundsätzlich sowohl auf privatrechtliche wie auf öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse anwendbar ist. An der entsprechenden öffentlich-rechtlichen Institution müssen sich jedoch beide Vertragsstaaten gemeinsam beteiligen und dürfen somit nicht nur von einem Staat betrieben werden (z.B. Stiftung Ostschweizer Kinderspital, Hochschule für Technik Buchs, Interstaatliche Maturitätsschule für Erwachsene St. Gallen/Sargans sowie RhySearch).1

Exkurs zur täglichen Rückkehr

Im Verhältnis mit anderen Nachbarstaaten wird grundsätzlich einen täglichen zweifachen Grenzübertritt gefordert. In Bezug auf das DBA CH-FL führte das Bundesgericht jedoch aus, dass die Abkommensbestimmung nicht verlangt, dass Grenzgänger ausnahmslos an jedem Arbeitstag sich an ihren Wohnort zurückbegeben2. So kann nach Meinung des Bundesgerichts im Verhältnis zwischen der Schweiz und Liechtenstein gar ein Wochenaufenthalter als Grenzgänger qualifizieren.

Dieses Urteil wurde jedoch in der Lehre kritisiert, da gemäss Praxis der Steuerbehörden Wochenaufenthalter mit Ansässigkeit im anderen Vertragsstaat nicht als Grenzgänger behandeln. Die ständige Praxis der Steuerbehörden spricht sich dafür aus, dass sich Grenzgänger in der Regel arbeitstäglich vom Wohnort an den Arbeitsort begeben müssen. Es gibt weder im Abkommenstext, im Protokoll noch in der Verständigungsvereinbarung Anhaltspunkte dafür, dass im Verhältnis Schweiz - Liechtenstein eine vom üblichen Grenzgängerbegriff abweichende Definition gelten sollte.

 

Was bedeutet die 45-Tage-Regelung (Nichtrückkehrtage)?

Arbeitnehmende verlieren ihren Grenzgängerstatus, wenn sie aus beruflichen Gründen an mehr als 45 Tagen pro Kalenderjahr bzw. 3.75 Tage pro Monat (Nichtrückkehrtage) nicht an ihren Wohnsitz zurückkehren. Beruflich bedingte Nichtrückkehrtage können sein (nicht abschliessend):

  • Die Übernachtung des Arbeitnehmenden auf Geschäftsreisen.
  • Die Übernachtung des Arbeitnehmenden in einem Hotel oder in einer Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes in- oder ausserhalb des Staates, in dem der Arbeitsort liegt, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz mit dem in der Regel verwendeten Transportmittel eine Fahrzeit von 45 Minuten überschreitet.
  • Die Übernachtung des Arbeitnehmenden bei Pikettdienst, sofern die Bereitschaft bei der Übernachtung am Wohnsitz nicht gewährleistet ist.
  • Die Übernachtung des Arbeitnehmenden während Weiterbildungsaufenthalten, wenn der Arbeitgeber die Übernachtungskosten übernimmt.

Bei unterjähriger Dauer des Arbeitsverhältnisses werden die Nichtrückkehrtage anteilsmässig berechnet. Auch im Fall von Teilzeitbeschäftigungen kann je nach Sachverhalt eine Reduktion der 45 Nichtrückkehrtage stattfinden. Wird beispielsweise eine Teilzeitbeschäftigung von 50% während 3 Tagen pro Woche ausgeübt, so reduzieren sich die 45 Nichtrückkehrtage auf 27. Wird hingegen das Teilzeitpensum von 50% während 5 Tagen ausgeübt, findet keine Reduktion statt. Entscheidend ist somit nicht die Höhe des Pensums, sondern an wie vielen Wochentagen das Arbeitspensum ausgeübt wird.

Sofern die 45 Nichtrückkehrtage überschritten werden, muss dies der zuständigen Steuerverwaltung bis spätestens im Februar des Folgejahres durch den Arbeitgeber mitgeteilt werden. Diese Mitteilung umfasst eine Aufstellung über die Angaben zu An- und Abreisedatum, Ort, Land, Zweck der jeweiligen Aufenthalte, Anzahl Nichtrückkehrtage und Zustellung des entsprechenden Lohnausweises.

 

Wie wird die Besteuerung von Nichtgrenzgängerinnen und Nichtgrenzgängern aufgeteilt?

Werden die 45 Nichtrückkehrtage überschritten, entfällt der Grenzgängerstatus und die Besteuerung erfolgt nach dem oben erwähnten Erwerbsortprinzip. Es findet somit eine Aufteilung des Besteuerungsrechtes zwischen dem Ansässigkeitsstaats und dem Tätigkeitsstaat anhand der physischen Arbeitstage statt. Physische Arbeitstage in einem Drittstaat fallen dabei dem Ansässigkeitsstaat zur Besteuerung zu.

Hinsichtlich der Bestimmung der Aufteilung des Besteuerungsrechtes wenden die Schweiz wie auch Liechtenstein unterschiedliche Methoden an. Die beiden Steuerverwaltungen der Schweiz und Liechtenstein haben in diesem Zusammenhang entsprechende Merkblätter publiziert.

Schweiz: effektive Methode

Gemäss dem Schweizer Merkblatt wird auf die effektiven Arbeitstage abgestellt, die mittels eines entsprechenden Kalendariums eruiert werden. Mit der effektiven Methode ergibt sich pro steuerpflichtige Person eine individuelle Aufteilung der Arbeitstage auf die involvierten Staaten.

Beispiel:

Eine in Liechtenstein ansässige Arbeitnehmerin hat ihren Arbeitsort in der Schweiz. Die Arbeitnehmerin weist mehr als 45 Nichtrückkehrtage auf und qualifiziert daher nicht als Grenzgängerin. Im entsprechenden Kalenderjahr weist sie 260 Arbeitstage auf, wovon sie 195 Tage in der Schweiz, 35 Tage in Deutschland und 30 Tage in Liechtenstein arbeitet. Vorliegend hat die Schweiz das Besteuerungsrecht für 75% (195 / 260) des Erwerbseinkommens.

Liechtenstein: pauschale Methode

Das Merkblatt von Liechtenstein sieht dagegen eine vereinfachte pauschale Methode vor. Für die Ermittlung der Tätigkeitstage werden dem Jahr 240 Arbeitstage zugrunde gelegt. Für die Bestimmung der Tätigkeitstage in Liechtenstein sind davon jene Arbeitstage abzuziehen, die ausserhalb von Liechtenstein ausgeübt wurden. Für die Festlegung der Tätigkeitstage ausserhalb von Liechtenstein kann grundsätzlich auf Basis der Aufstellung der Nichtrückkehrtage erfolgen. Alternativ steht es den Arbeitnehmenden jedoch frei, aufgrund eines Kalendariums die Berechnung vorzunehmen.

Beispiel:

Eine in der Schweiz ansässige Arbeitnehmerin hat ihren Arbeitsort in Liechtenstein. Die Arbeitnehmerin weist 65 Nichtrückkehrtage auf. Im entsprechenden Kalenderjahr weist sie 260 Arbeitstage auf, wovon sie 195 Tage in Liechtenstein, 35 Tage in Deutschland und 30 Tage in der Schweiz arbeitet. Nach der pauschalen Methode werden somit rund 73% ([240 - 65] / 240) des Erwerbseinkommens Liechtenstein zur Besteuerung zugewiesen.

Welche Folgen ergeben sich aus den unterschiedlichen Methoden?

In vielen Fällen führen die beiden unterschiedlichen Methoden zu einem annährend deckungsgleichen Ergebnis. Je nach Anzahl Arbeitstage im Tätigkeitsstaat können sich jedoch Unterschiede bei der Besteuerung ergeben. Tritt eine Doppelbesteuerung ein, müssen sich die Schweiz und Liechtenstein auf eine einheitliche Vorgehensweise der Berechnungsmethode einigen.

Wird die Grenze von 45 Nichtrückkehrtagen überschritten, erfolgt eine Aufteilung des Besteuerungsrechtes zwischen den beiden Staaten. Aufgrund der vorgängig dargestellten unterschiedlichen Berechnungsmethodik kann dies für Arbeitnehmende zu einer unerwünschten Doppelbesteuerung führen. Um eine allfällige Doppelbesteuerung zu vermeiden, stehen den Arbeitnehmenden in der Regel nur der Rechtsmittelweg oder gar das Verständigungsverfahren zur Verfügung.

Gegenüberstellung (48 Nichtrückkehrtage, 195 Arbeitstage FL, 65 Arbeitstage CH):
Arbeitnehmer (Wohnort CH / Tätigkeitsort FL) Pauschale Berechnungsmethode (FL) Effektive Berechnungsmethode (CH)
Besteuerungsrecht FL - Tätigkeitsstaat (240 - 48) / 240 = 80% 195 / 260 = 75%
Besteuerungsrecht CH - Ansässigkeitsstaat (48 / 240) = 20% 65 / 260 = 25%

 

Was ist steuerlich vorteilhafter – Grenzgängerstatus oder Erwerbsortbesteuerung?

Liechtenstein hat eine vergleichsweise niedrige Steuerbelastung mit einem Höchststeuersatz von 24%. Ob der Grenzgängerstatus oder die Besteuerung nach dem Erwerbsortprinzip vorteilhaft ist, hängt von der individuellen steuerlichen Situation bzw. der persönlichen Ausgangslage der Arbeitnehmenden ab. Für Personen mit Wohnsitz in Kantonen mit hohen Steuersätzen, wie Zürich, und Arbeitsort in Liechtenstein kann der Verzicht auf den Grenzgängerstatus unter Umständen sinnvoll sein, da sonst das gesamte Erwerbseinkommen dem Kanton Zürich zu Besteuerung zufällt.

 


1 Vgl. hierzu Verständigungsvereinbarung vom 16.09.2024.
2 Vgl. BGE 2C_215/2009, E. 3.2.

Warum ist steuerliche Planung für Grenzgänger so wichtig?

Die richtige Einstufung als Grenzgänger oder Nichtgrenzgänger hat erhebliche steuerliche Auswirkungen. Arbeitnehmende sollten sich frühzeitig über die Auswirkungen des DBA und die jeweilige Berechnungsmethodik informieren, um unerwünschte Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.


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