EU/EFTA - Neue Rahmenvereinbarung Telearbeit

8 min

Grenzüberschreitende Telearbeit

Die gute Nachricht ist: Die Rahmenvereinbarung Multilaterales Framework Agreement MFA ist am 1. Juli 2023 in Kraft getreten und die Schweiz hat es unterzeichnet. Somit können Schweizer Unternehmungen grundsätzlich darauf abstützen und gegebenenfalls von der erweiterten Flexibilität profitieren.

Die schlechte Nachricht ist: Einmal mehr liegt der Teufel im Detail. Wer davon ausgeht, dass ab sofort «working from anywhere für alle» gilt, ist auf dem Holzweg. Zudem gibt es noch einige Unsicherheiten, deren Handhabung sich erst mit der Erfahrung herauskristallisieren wird.

Die wichtigsten Grundlagen

  • Art. 13 der VO (EG) 883/2004 bleibt unberührt. Bei Mehrstaatentätigkeit gilt nach wie vor grundsätzlich, dass bei Tätigkeit im Wohnstaat von 25% oder mehr die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung in den Wohnstaat fällt.
  • Bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um eine Regelung zur Anwendung von Art. 16 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 (Sondervereinbarung). Nach dieser kann die Unterstellung im Sitzstaat des Arbeitgebenden bleiben, wenn die Tätigkeit im Wohnstaat 25% überschreitet und keine 50% erreicht. Dies bedarf eines «Opt-in», ansonsten gilt die Unterstellung im Wohnstaat. Das Opt-in erfolgt über den Antrag für eine entsprechende Bescheinigung A1 (Geschäftsfall «grenzüberschreitende Telearbeit»).
  • Die Rahmenvereinbarung bezieht sich ausschliesslich auf gewöhnliche Tätigkeiten im Wohnsitz- und im Sitzstaat des Arbeitgebers. Sie umfasst nicht gewöhnliche andere Tätigkeiten als grenzüberschreitende Telearbeit und/oder auch nicht gewöhnliche Tätigkeiten in anderen als diesen Staaten. Sie umfasst ebenfalls keine Selbstständigerwerbenden.
  • Sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Rahmenvereinbarung nicht gegeben, kann dennoch ein Antrag auf Verbleib der Unterstellung im Arbeitgebersitz-Staat gestellt werden (Sondervereinbarung). In diesem Fall muss der andere Staat jedoch seine Zustimmung geben, während diese bei Anwendung der Rahmenvereinbarung als gegeben angenommen wird.

Testen Sie Ihr Knowhow zum Thema Telearbeit

Wir haben für Sie 10 Beispiele zusammengestellt zur Anwendbarkeit der neuen Rahmenvereinbarung. Sie finden unter den Titeln jeweils die Ausgangslage und darunter die Beurteilung.

Fallbeispiel

Herr Schmidt ist deutscher Staatsbürger, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Er arbeitet zu 40% im Homeoffice in Deutschland und zu 60% in der Schweiz am Hauptsitz der Arbeitgeberin. 

Beurteilung

Da die Tätigkeit im Wohnstaat 25% erreicht, fällt die Unterstellung grundsätzlich nach Deutschland. Die Bedingungen der Rahmenvereinbarung sind erfüllt, daher kann (Wahlrecht) die Unterstellung mit einem Opt-in in der Schweiz beibehalten werden.

Wenn Herr Schmidt den Anteil Homeoffice auf 20% reduziert, fällt die Tätigkeit aus dem Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung raus. Herr Schmidt untersteht dann der Schweiz, das Wahlrecht entfällt.

Tipp: Wir empfehlen die Unterzeichnung einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitnehmenden, die alle relevanten Komponenten enthält - insbesondere die Wahl des Unterstellungsstaats, die Konsequenzen bei Änderung des Sachverhalts und die Informationspflicht.

Fallbeispiel

Frau Johnson ist US-Bürgerin, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Sie arbeitet zu 45% im Homeoffice in Deutschland und zu 55% in der Schweiz am Hauptsitz des Arbeitgebers. 

Beurteilung

Die Rahmenvereinbarung ist nur anwendbar für Personen, die dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) oder dem EFTA-Übereinkommen unterstehen. Für Frau Johnson ist sie somit nicht anwendbar aufgrund ihrer Drittstaatsangehörigkeit.

Fallbeispiel

Herr Müller ist deutscher Staatsbürger, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Er arbeitet zu 40% im Homeoffice in Deutschland und zu 60% in der Schweiz am Hauptsitz der Arbeitgeberin. Am Wochenende hilft er jeweils im Hofbräuhaus in München aus.

Beurteilung

Die Rahmenvereinbarung ist nicht anwendbar auf Personen, die neben der Tätigkeit für ihren Schweizer Arbeitgeber noch für einen Arbeitgeber in der EU bzw. in einem EFTA-Staat arbeiten.

Offen ist, ob die Marginalitätsgrenze von 5% angewendet werden kann. Falls ja ist die Rahmenvereinbarung anwendbar, sofern die Tätigkeit im Hofbräuhaus keine 5% aller Tätigkeiten ausmacht. Diese Frage wird aktuell in der EU diskutiert.

Fallbeispiel

Herr Meier ist deutscher Staatsbürger, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Er arbeitet zu 40% im Homeoffice in Deutschland und zu 60% in der Schweiz am Hauptsitz der Arbeitgeberin. Am Wochenende hilft er jeweils im Kafistübli in Bonaduz aus.

Beurteilung

Die Rahmenvereinbarung ist anwendbar. Die Telearbeit im Wohnstaat macht weniger als 50% aus und alle Arbeitgebenden befinden sich im selben Sitzstaat.

Tipp: Das Kafistübli tut gut daran, Herrn Meier regelmässig abzufragen, ob die Bedingungen unverändert gelten. Wenn er seinen Homeoffice-Anteil bei der Hauptarbeitgeberin auf 50% erhöht, fällt seine Unterstellung nach Deutschland. Dann muss auch das Kafistübli seinen Lohn nach deutschem Recht in Deutschland abrechnen.

Fallbeispiel

Frau Kaufmann ist deutsche Staatsbürgerin, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Sie arbeitet 30% im Homeoffice und 20% in der Schweiz am Hauptsitz des Arbeitgebers. Als Vertreterin für den D-A-CH Markt besucht sie in der restlichen Zeit (50%) Kunden in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

Beurteilung

Die Rahmenvereinbarung ist nicht anwendbar auf Personen, die gewöhnlich neben der Telearbeit im Wohnstaat in einem weiteren EU- bzw. EFTA-Staat eine Tätigkeit ausüben.

Selbst wenn Frau Kaufmann nebst dem Homeoffice nur in Deutschland noch Kundenbesuche macht, fällt sie aus dem Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung raus. Denn diese ist auch nicht anwendbar auf Personen, die neben der Telearbeit im Wohnstaat dort zusätzlich gewöhnlich eine andere Tätigkeit ausüben.

Tipp 1: Wenn Frau Kaufmann normalerweise nur in der Schweiz Kundenbesuche macht und nun ausnahmsweise mal einen Kunden in Deutschland besucht, dann findet die Rahmenvereinbarung Anwendung, sofern alle anderen Kriterien erfüllt sind. Sobald ein weiterer EU-Staat dazukommt, fällt sie wieder aus dem Anwendungsbereich raus.

Tipp 2: Wenn Frau Kaufmann normalerweise nur in der Schweiz Kundenbesuche macht und ausnahmsweise mal einen Kunden in Österreich besucht (weiterer EU-Staat), könnte eine einmalige Entsendung beantragt werden. Sie hätte dann ein A1 für «grenzüberschreitende Telearbeit» und ein A1 für «Entsendung».

Fallbeispiel

Herr Schneider ist deutscher Staatsbürger, wohnt in Deutschland und ist bei einem Schweizer Arbeitgeber (Hauptsitz in Zürich) angestellt. Er arbeitet 40% im Homeoffice in Deutschland und 60% in der österreichischen Niederlassung des Arbeitgebers.

Beurteilung

Die Rahmenvereinbarung ist nicht anwendbar, da Herr Schneider nicht im Sitzstaat seines Arbeitgebers arbeitet. (Die Anstellung ist in der Schweiz, die Tätigkeit in Deutschland und in Österreich).

Fallbeispiel

Frau Fischer ist deutsche Staatsbürgerin, wohnt in Deutschland und arbeitet an der Uni Basel. Einerseits ist sie in der Forschung tätig, andererseits unterrichtet sie als Professorin. Ihre Homeoffice-Tätigkeit von 40% beinhalten das Schreiben von Forschungsberichten, Vorbereiten der Unterrichtslektionen und Korrektur von Prüfungen der Studierenden.

Beurteilung

Die Tätigkeit muss näher untersucht werden darauf, ob die Definition von Telearbeit gemäss Rahmenvereinbarung erfüllt ist.

Der Telearbeitnehmende muss mit der Arbeitsumgebung des Arbeitgebenden verbunden sein, um die übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Diese IT-Verbindung muss normalerweise und gewöhnlich vorhanden sein, aber nicht unbedingt während 100% der Arbeitszeit. Manuelle Tätigkeiten fallen in der Regel nicht in den Geltungsbereich der Definition.

Vorliegend muss also geprüft werden, bei welchen Tätigkeiten im Homeoffice Frau Fischer mit der Arbeitsumgebung der Uni verbunden ist und klären, ob die Anwendbarkeit der Rahmenvereinbarung gegeben ist.

Fallbeispiel

Herr Weber ist deutscher Staatsbürger, wohnt in Deutschland und ist in der Schweiz angestellt. Er arbeitet zu 30% im Homeoffice in Deutschland und zu 70% in der Schweiz am Hauptsitz der Arbeitgeberin. Daneben hat er noch eine Tätigkeit als Selbstständigerwerbender in der Schweiz.

Beurteilung

Grundsätzlich ist gemäss Rahmenvereinbarung eine weitere Tätigkeit im Wohnstaat nicht möglich, während die Beschäftigung bei mehreren Arbeitgebenden in deren identischem Sitzstaat möglich ist. Ebenfalls grundsätzlich ist die Anwendbarkeit für Selbstständigerwerbende nicht gegeben.

Dieser Fall mit einer Kombination von unselbstständiger Haupt- und selbstständiger Nebentätigkeit ist noch unklar und wird in der EU aktuell diskutiert. Bei der Koordination nach FZA bzw. EFTA-Übereinkommen wird die SE-Tätigkeit in einem solchen Fall ignoriert. Die Rahmenvereinbarung enthält keinen Passus dazu. Möglicherweise wird es darauf hinauslaufen, dass die selbstständige Tätigkeit ignoriert werden kann, falls sie marginal ist (unter 5%).

Fallbeispiel

Frau Rossi ist italienische Staatsbürgerin, wohnt in Italien und ist in der Schweiz angestellt. Sie arbeitet 40% im Homeoffice und 60% in der Schweiz am Hauptsitz des Arbeitgebers. 

Beurteilung bis 31. Dezember 2023

Die Rahmenvereinbarung ist nicht anwendbar, da Italien sie nicht unterzeichnet hat und damit nicht zu den Unterzeichnerstaaten gehörte.

Beurteilung ab 1. Januar 2024

Die Rahmenvereinbarung ist ab 1. Januar 2024 anwendbar, da Italien sie im Dezember 2023 unterzeichnet hat. Frau Rossi ist mit der beschriebenen Ausgangslage bis 31. Dezember 2023 sozialversicherungsrechtlich in Italien unterstellt. Per 1. Januar 2024 kann sie in der Schweiz unterstellt werden, wenn alle Voraussetzungen - unter anderem das beiderseitige Einverständnis - erfüllt sind. Eine Liste der Unterzeichnerstaaten findet sich hier.

Tipp: Wenn zusätzliche Staaten die Rahmenvereinbarung unterzeichnen, ist sie jeweils ab dem Folgemonat nach Unterzeichnung anwendbar. Der zeitlichen Anwendbarkeit ist somit besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Fallbeispiel

Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Schweizer Arbeitgebers möchten vorübergehend im europäischen Ausland Telearbeit leisten. zB weil die Grossmutter dort lebt und schwer krank ist, weil man sich selbst im Ausland einer Behandlung unterziehen will, weil man dem November-Blues in der Schweiz entfliehen und die Ferienfinca auf Mallorca beleben will.

Beurteilung

Bisher mussten wir in solchen Fällen abwinken, da eine Entsendung grundsätzlich im Interesse und auf Rechnung des Arbeitgebenden erfolgen muss.

Nun wurde eine einheitliche Auslegung der Entsendung nach Art. 12 der VO (EG) 883/2004 beschlossen, welche eine vollumfängliche Telearbeit zulässt, wenn sie vorübergehend und punktuell (ad hoc) geleistet wird. In wessen Interesse die grenzüberschreitende Telearbeit geleistet wird, muss nicht unterschieden werden; jedoch muss sie zwischen Arbeitnehmenden und -gebenden vereinbart sein.

Diese Auslegung ist limitiert auf 24 Monate (keinen Verlängerung möglich) und gilt nur, wenn die Telearbeit im Ausland nicht Teil des üblichen Arbeitsmusters ist. Die übrigen Bedingungen einer Entsendung müssen jedoch weiterhin erfüllt sein.

Tipp: Die Nutzung der zwei Jahre ohne Interesse des Arbeitgebers kann zum Nachteil werden, wenn anschliessend eine Entsendung im Interesse des Arbeitgebers erfolgen soll.