Neues Erbrecht 2023 – Wo besteht in der Nachlassplanung Handlungsbedarf?
Neues Erbrecht 2023 – Wo besteht in der Nachlassplanung Handlungsbedarf?
Am 1. Januar 2023 tritt das neue Erbrecht in Kraft. Die neuen Bestimmungen finden auf alle Nachlässe der nach dem 31. Dezember 2022 verstorbenen Erblasser Anwendung, unabhängig vom Datum ihres Testaments oder Erbvertrages.
Was ändert sich und was bedeutet dies für Ihre Nachlassplanung?
⏱ 6 min
Pflichtteile
Neue Regelungen
- Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen auf 1/2 ihres gesetzlichen Erbteils (Art. 471 nZGB)
- Abschaffung des Pflichtteils der Eltern
(Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten/des eingetragenen Partners bleibt unverändert bei ½ seines gesetzlichen Erbteils, Art. 417 nZGB)
Neue Verteilung des Nachlassvermögens
Handlungsbedarf
- Wie bisher gilt ohne Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) die gesetzliche Erbfolge der Verwandtschaft des Erblassers oder - wenn keine Verwandten vorhanden sind - der Nachlass fällt allenfalls an seine Wohnsitzgemeinde.
- Die Erhöhung der verfügbaren Quote (mind. die Hälfte des Nachlasses) gibt dem Erblasser mehr Handlungsspielraum in seiner Nachlassplanung: So kann er insbesondere die Begünstigung des überlebenden Ehegatten/eingetragenen Partners oder eines Konkubinatspartners ausdehnen und weitere Personen oder Institutionen als Erben/Vermächtnisnehmer berücksichtigen.
- Wenn eine bestehende Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) die Nachkommen oder Eltern des Erblassers auf den Pflichtteil setzt - insbesondere unter Angabe der Quote nach bisherigem Recht - stellt sich beim Tod des Erblassers die Frage, ob er auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts an dieser Quote festhalten oder die Anwendung der neuen Bestimmungen wollte. Dieses Auslegungsproblem kann durch eine Klarstellung in einer Ergänzung der Verfügung von Todes wegen vermieden werden.
Erhöhung des verfügbaren Teils bei der Nutzniessung des überlebenden Ehegatten/ eingetragenen Partners am Erbteil der gemeinsamen Kinder
Neue Regelungen
Im Rahmen einer gegenseitigen Meistbegünstigung können sich die Ehegatten/eingetragenen Partner wie bisher gegenüber gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am ganzen diesen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden. Daneben kann dem überlebenden Ehegatten/eingetragenen Partner neu die Hälfte des Nachlasses (bisher ein Viertel) zu Eigentum zugesprochen werden (Art. 473 Abs. 2 nZGB).
Im Falle der Wiederverheiratung/Begründung einer neuen eingetragenen Partnerschaft des überlebenden Ehegatten/eingetragenen Partners entfällt von Gesetzes wegen seine Nutzniessung auf dem Pflichtteil der Kinder, welche diese nachträglich unbelastet zu Eigentum erhalten (Art. 473 Abs. 3 nZGB).
Handlungsbedarf
- Die Meistbegünstigung des überlebenden Ehegatten/eingetragenen Partners in Form der Nutzniessung muss wie bisher in einer Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) vorgesehen werden.
- Wird dem Ehegatten/eingetragenen Partner in einer bereits bestehenden Verfügung von Todes wegen neben der Nutzniessung ein Viertel des Nachlasses zu Eigentum zugesprochen, stellt sich beim Tod eines Ehegatten/eingetragenen Partners das Auslegungsproblem, ob die altrechtliche Quote weiter gelten soll oder ob der Erblasser eine Anpassung an das neue Recht wollte. Eine entsprechende Ergänzung der Verfügung von Todes wegen kann diese Unsicherheit beseitigen.
Tod während eines Scheidungsverfahrens
Neue Regelungen
Stirbt ein Ehegatte während eines laufenden Scheidungsverfahrens, das von beiden Ehegatten gemeinsam eingeleitet oder durch sie gemeinsam fortgesetzt wurde oder wenn sie bereits während mindestens 2 Jahren getrennt gelebt haben, so verliert der überlebende Ehegatte neu von Gesetzes wegen:
- seinen Pflichtteilsanspruch (Art. 472 nZGB),
- seine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen (Art. 120 Abs. 3 Ziff. 2 nZGB),
- seine ehevertraglichen Begünstigungen in Form der Vereinbarung einer anderen Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Vorschlag der Errungenschaften bei der Errungenschaftsbeteiligung oder des Gesamtguts bei der Gütergemeinschaft (Art. 217 Abs. 2, 241 Abs. 4 nZGB).
Die Regelungen gemäss a) und b) gelten auch für die Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft (Art. 472 Abs. 3 nZGB, Art. 31 Abs. 2 Partnerschaftsgesetz).
Handlungsbedarf
- Ohne Nachlassregelung in einem Testament oder einem Erbvertrag gilt das gesetzliche Erbrecht wie bisher auch während eines Scheidungsverfahrens. Der überlebende Ehegatte erhält trotz Scheidungsverfahren seinen gesetzlichen Erbteil. Um den überlebenden Ehegatten während eines Scheidungsverfahrens, dem beide Ehegatten zugestimmt haben oder nach einer Trennungszeit von 2 Jahren, als Erben vollständig auszuschliessen, muss der Erblasser dies in einer Verfügung von Todes wegen vorsehen. Gegen eine solche Verfügung von Todes wegen kann sich der überlebende Ehegatte nicht mit der Begründung wehren, sein Pflichtteil werde verletzt. Er hat seinen Pflichtteilsschutz wegen des Scheidungsverfahrens verloren.
- Mit einer entsprechenden Regelung im Ehe- und Erbvertrag, welche auf die neuen Bestimmungen Bezug nimmt, können die Ehegatten die vorgehend unter b) und c) erwähnten Rechtsfolgen ausschliessen oder abändern.
- Die Ehegatten können wie bisher (über die neue gesetzliche Regelung hinaus) durch Ehevertrag vereinbaren, dass die Meistbegünstigung des überlebenden Ehegatten in Form der Zuweisung der gesamten Errungenschaft/des gesamten Gesamtgutes in allen Fällen eines eingeleiteten Scheidungsverfahrens sowie allenfalls im Falle einer gerichtlichen oder aussergerichtlichen Trennung zum Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten keine Anwendung findet.
- Die Ehegatten können wie bisher (über die neue gesetzliche Regelung hinaus) durch Erbvertrag vereinbaren, dass die erbrechtlichen Begünstigungen des überlebenden Ehegatten generell im Fall eines eingeleiteten Scheidungsverfahrens oder einer Trennung zum Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten keine Anwendung finden. Dabei ist aber zu beachten, dass bei den Scheidungsverfahren, die nicht unter die neue gesetzliche Regelung fallen, der überlebende Ehegatte Anspruch auf seinen Pflichtteil hat.
Lebzeitige Schenkungen
Neue Regelung
Zuwendungen durch den Erblasser zu Lebzeiten oder auf seinen Tod hin, die mit einem abgeschlossenen Erbvertrag nicht vereinbar und in diesem nicht vorbehalten worden sind, können vom Vertragspartner angefochten werden (Art. 494 Abs. 3 nZGB). Davon ausgenommen sind Gelegenheitsgeschenke.
Handlungsbedarf
- Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts wird die neue gesetzliche Regelung ohne Schenkungsvorbehalt im Vertrag bei den meisten Erbverträgen zu einem Schenkungsverbot führen. Als Ergänzung eines bestehenden Erbvertrages, der keine entsprechende Regelung enthält, oder in einem neuen Erbvertrag sollten die Vertragsparteien einen Vorbehalt anbringen, wenn sie einen gewissen Handlungsspielraum hinsichtlich Schenkungen und Zuwendungen von Todes wegen beibehalten möchten.
- Dabei sollte klar festgehalten werden, welche lebzeitigen Schenkungen oder Zuwendungen auf den Tod hin trotz Erbvertrag zulässig sein sollen. Dürfen solche Zuwendungen nachträglich uneingeschränkt gewährt werden oder sind diese betragsmässig oder auf bestimmte Empfänger (z.B. nur zugunsten von Nachkommen des Erblassers) beschränkt?
- Bis zu welchem Betrag eine Schenkung als zulässige Gelegenheitsschenkung gilt, definiert das neue Gesetz nicht und muss durch die Rechtsprechung noch festgelegt werden. Es empfiehlt sich daher, auch bei Festhalten an der gesetzlichen Regelung im Erbvertrag festzuhalten, welche Zuwendungen als Gelegenheitsgeschenke anerkannt werden sollen.
Zusammenfassung neues Erbrecht per 1.1.2023
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Text die männliche Sprachform verwenden; die Angaben beziehen sich selbstverständlich auf Angehörige aller Geschlechter.