Welchen Einfluss hat die IV-Revision auf die Personal- und Lohnadministration?

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Es stimmt: Oft sind mit IV-Revisionen vor allem Anpassungen im Bereich der Leistungen verbunden. Da die Arbeitgebenden damit in der Regel wenig bis nichts zu tun haben, weckt das Thema wenig Interesse. Zu Unrecht – wie dieser Artikel aufzeigt.

Am 1. Januar 2022 ist die 7. IV-Revision - oder die «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung», wie sie vielversprechend genannt wird - in Kraft getreten. Neben neuen Bestimmungen zur psychischen Beeinträchtigung, Geburtsgebrechen und Gutachten, wird mit ihr auch ein neues Rentensystem eingeführt. Das hat einerseits Einfluss auf die Vorsorgeberatung, es verändert aber auch die Versicherungspflicht in der zweiten Säule.

 

Was ist eine Invalidität und darf man dann noch arbeiten?

Für das rechtliche Verständnis der Invalidität sind folgende Definitionen von Bedeutung:

Art. 6 ATSG - Arbeitsunfähigkeit
«Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. …»

Art. 7 Abs. 1 ATSG - Erwerbsunfähigkeit
«Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt.»

Art. 8 Abs. 1 ATSG - Invalidität
«Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.»


Mit anderen Worten: Solange noch die Aussicht besteht, dass eine gesundheitlich beeinträchtigte Person durch Umsetzung verschiedener Massnahmen wieder arbeiten kann, ist sie rechtlich gesehen nicht invalide. Erst wenn voraussichtlich über lange Zeit oder dauerhaft gar keine Tätigkeit mehr möglich ist, ist der IV-Begriff erfüllt.

In sehr vielen Fällen ist es jedoch so, dass keine hundertprozentige Erwerbsunfähigkeit besteht. Der Anteil, zu dem noch gearbeitet werden kann, wird Resterwerbsfähigkeit genannt. Und diese darf und soll natürlich verwertet werden.

 

Wie berechnet sich der IV-Grad und was bedeutet er für die Lohnversicherung?

Der IV-Grad beziffert das Ausmass der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit einer betroffenen Person. Bei Erwerbstätigen wird dieser aufgrund der Lohneinbusse berechnet. Vereinfacht dargestellt sieht das wie folgt aus:

Berechnung des IV-Grads

Einkommen ohne gesundheitliche Beeinträchtigung (Valideneinkommen)

CHF 80'000

Einkommen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung (Invalideneinkommen)

CHF 30'000

Einkommenseinbusse durch die gesundheitliche Beeinträchtigung

CHF 50'000

Einkommenseinbusse in Prozent des bisherigen Einkommens (IV-Grad)

62,5%


Bemerkenswert ist, dass es sich beim Invalideneinkommen nicht zwingend um den effektiven Verdienst der Person handeln muss. Tatsächlich schätzt die IV, unter Berücksichtigung der Ausgangslage, wie viel die betroffene Person auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt noch verdienen können sollte, basierend auf statistischen Werten. Das bedeutet der IV-Grad beträgt auch dann 62,5 Prozent, wenn die Person keine Arbeitsstelle findet oder dort weniger verdient. Verdient sie hingegen mehr als angenommen, muss sie dies melden und möglicherweise löst dies eine Renten-Neuberechnung aus.

Der IV-Grad bestimmt in Folge auch die IV-Rente. Die Basis bildet die Skala 44, die bereits von der Berechnung der Altersrente der AHV bekannt ist. Das bedeutet: Die IV-Rente ist abhängig von der Vollständigkeit der Beitragsjahre (ab Alter 21 bis zum Eintreten der Invalidität) und vom durchschnittlichen Einkommen in diesen Jahren. Eine ganze Maximalrente beträgt 2'390 Franken pro Monat (Stand 2022). Je nach IV-Grad erhalten IV-Bezüger nach bisherigem System folgenden Anteil einer ganzen Rente:

 

IV-Grad

IV-Rente nach bisherigem System

< 40%

Kein Rentenanspruch

Ab 40%

Viertelsrente

Ab 50%

Halbe Rente

Ab 60%

Dreiviertelsrente

Ab 70%

Ganze Rente

 

Dies gilt nicht nur für die IV-Rente der IV, sondern auch für die IV-Rente nach BVG. Die Pensionskasse ist an die IV-Grad-Berechnung der IV gebunden.

In obigem Beispiel mit einem IV-Grad von 62,5 Prozent erhält die betroffene Person nach bisherigem System demnach eine Dreiviertelsrente.
 

Beschäftigung einer teilinvaliden Person

Welchen Einfluss hat das nun auf ein Arbeitsverhältnis? Der Arbeitgebende rechnet den Lohn wie üblich mit den Sozialversicherungen ab und berechnet die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge. Allerdings werden die Grenzwerte nach BVG entsprechend dem Rentenanspruch gekürzt. Mit den aktuellen Werten (Stand 2022) in Franken sieht das wie folgt aus:
 

  Keine Rente Viertelsrente halbe Rente Dreiviertelsrente
Eintrittsschwelle 21'510 16'132 10'755 5'377
Max. anrechenbarer Lohn 86'040 64'530 43'020 21'510
Koordinationsabzug 25'095 18'821 12'547 6'274
Max. versicherter Lohn 60'945 45'709 30'473 15'236
Min. versicherter Lohn 3'585 3'585 3'585 3'585

 

Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, wird nur der mindestversicherte Lohn nach BVG nicht gekürzt. Personen mit einer ganzen Rente - d.h. ab einem IV-Grad von 70 Prozent - sind zudem bei der Pensionskasse nicht mehr zu versichern.

 

Was hat per 1. Januar 2022 geändert?

Die vier oft als ungerecht empfundenen Rentenstufen wurden für Neurenten abgeschafft. Ab 2022 gilt ein praktisch stufenloses Rentensystem. Damit folgt die Rentenhöhe viel dichter dem IV-Grad und entspricht somit eher dem tatsächlichen Ausfall. Was bleibt sind die obere und die untere Schwelle: Nach wie vor gibt es erst ab einem IV-Grad von 40 Prozent überhaupt eine Rente und ab einem IV-Grad von 70 Prozent wird eine ganze Rente bezahlt.

Doch dazwischen gilt neu: Bei einem IV-Grad von 40 bis 49 Prozent erhöht sich die Rente pro Prozent IV-Grad um jeweils 2,5 Prozent (IV-Grad 40 Prozent = Rente 25 Prozent, IV-Grad 49 Prozent = Rente 47,5 Prozent). Ab einem IV-Grad von 50 bis 69 Prozent entspricht die IV-Rente dem IV-Grad.

Das bedeutet, dass sich auch die entsprechende Kürzung der Grenzwerte nach BVG analog anpasst. Beispiel: Bei einem IV-Grad von 55 Prozent wird eine IV-Rente von 55 Prozent ausgerichtet. Die Resterwerbsfähigkeit beträgt 45 Prozent. Entsprechend sind die Grenzwerte nach BVG auf die 45 Prozent zu kürzen:

  • Eintrittsschwelle: 45% von CHF 21'510 = CHF 9'680
  • Koordinationsabzug: 45% von CHF 25'095 = CHF 11'293
  • Maximal anrechenbarer Lohn: 45% von CHF 86'040 = CHF 38'718
  • Der mindest versicherte Lohn bleibt weiterhin bei CHF 3'585.

Wenn also teilinvalide Personen beschäftigt werden, gilt es die richtigen Grenzwerte beim BVG anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Eintrittsschwelle sowie die Meldung des korrekten IV-Grads bei der PK-Anmeldung.

 

Was passiert mit altrechtlichen Renten?

Die neuen Regelungen gelten für IV-Neurenten ab 1. Januar 2022. Für IV-Renten, über die zwar 2022 entschieden wird, die jedoch rückwirkend für einem Zeitpunkt vor 2022 gesprochen werden, wird noch das bisherige System angewendet. Bei den Übergangsregelungen für bereits laufende Renten gelten je nach Alter der betroffenen Person andere Bestimmungen. Das Alter bezieht sich jeweils auf den 1. Januar 2022.

Alter ab 55 Jahren

Die laufenden Renten werden nicht mehr angepasst. Renten, deren Anspruch vor Inkrafttreten der Änderung entstanden sind, werden weiterhin nach bisherigem Recht berechnet.
 

Alter zwischen 30 und 54 Jahren

Der bisherige Anspruch bleibt unverändert bestehen, bis sich der IV-Grad um mindestens 5 Prozentpunkte ändert (Rentenrevision). Bei einer entsprechenden Anpassung des IV-Grads wird die Rente nach dem neuen System berechnet - ausser die neue Regelung wäre nachteilig für den Rentenempfänger, dann bleibt der bisherige Anspruch bestehen (Besitzstandswahrung).
 

Alter unter 30 Jahren

Der bisherige Anspruch bleibt während maximal zehn Jahren ab Inkrafttreten der neuen Regelung unverändert bestehen. Nach Ablauf der zehn Jahre wird die Rente neu berechnet nach dem neuen Rentensystem - ausser die neue Regelung wäre nachteilig für den Rentenempfänger, dann bleibt der bisherige Anspruch bestehen (Besitzstandswahrung). Sollte es vor Ablauf der zehn Jahre bereits eine Anpassung des IV-Grads um mindestens 5 Prozentpunkte geben (Rentenrevision), wird ab diesem Zeitpunkt die neue Regelung angewendet, selbst wenn diese zu einer Senkung der Rente führt (keine Besitzstandswahrung).

 

Fazit

Für die zuständigen Personen in der Personal- und Lohnadministration heisst es, auf folgende Faktoren zu achten:

  • Vorsicht bei der Prüfung, ob eine Anmeldung bei der Pensionskasse erfolgen muss (Überschreiten der reduzierten Eintrittsschwelle)
  • Korrekte Deklaration eines allfälligen IV-Grads bei der Anmeldung an die Pensionskasse
  • Überprüfung der korrekten Anwendung des gekürzten Koordinationsabzugs und des gekürzten maximal anrechenbaren Lohns
  • Hinweis an Mitarbeitende, dass Änderungen beim IV-Grad der Personalabteilung gemeldet werden müssen
  • Allenfalls klärender Hinweis an Mitarbeitende, falls deren Beiträge aufgrund der Systemänderung erheblich schwanken

Da Mutationen bei der Pensionskasse laufend zu melden sind und nicht erst am Jahresende, tut die Lohn- und Personaladministration gut daran, diesen Punkten erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.

Das wirklich Positive am neuen Rentensystem ist, dass sich Lohnerhöhungen zwar noch immer auf die Höhe der Rente auswirken können, jedoch sind die Sprünge bei Weitem nicht mehr so gross. Die Betroffenen dürften so viel öfter tatsächlich profitieren, wenn der Arbeitgeber ihre Arbeit mit einer Lohnerhöhung belohnt.

 

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