Im ersten Jahrhundert n. Chr. zählte die Stadt Nîmes im heutigen Frankreich mehr als 20’000 Einwohner. Um die Brunnen und Bäder der Stadt mit Wasser aus den umliegenden Quellen zu versorgen, beschloss die Obrigkeit der Stadt den Bau einer neuen Wasserleitung. Lediglich mit einem optischen Visier (Diopter) und einem Bleilot ausgestattet, bauten die damaligen Ingenieure und Arbeiter eine Leitung von 52 km Länge, deren Höhenunterschied betrug gerade einmal 12,5 m; das entspricht einem durchschnittlichen Gefälle von 25 cm/km. Bei nur 1 cm/km Abweichung hätte die Wasserleitung ihre abschliessende Höhe bereits zwei Kilometer vor Nîmes erreicht. Mehr als 35’000 m3 Wasser und damit knapp 2 m3 pro Einwohner, flossen so täglich durch die Landschaft. Am Bau der Leitung waren über einen Zeitraum von 15 Jahren mehr als eintausend Menschen beteiligt. Die Wasserleitung war fünf Jahrhunderte lang in Betrieb. Wie konnte man angesichts einer so geringen Höhendifferenz überhaupt wissen, dass Nîmes tiefer liegt als die Quellen? Wie konnte man diesen Höhenunterschied mit ausreichender Genauigkeit bestimmen, um daraus das Gefälle des Kanals und damit den Streckenverlauf im Gelände abzuleiten? Der Höhenmesser wurde erst im 19. Jahrhundert erfunden. Ohne Satelliten, deren präzise Atomuhren die Nutzung eines GPS-Systems ermöglichen, wäre heutzutage kaum jemand zu einer solchen Meisterleistung in der Lage. Welche Vision hatten die damaligen Entscheidungsträger für die Stadtentwicklung? Wie sah der Prozess aus, der zu der Entscheidung führte? Und auf Grundlage welcher Informationen wurde der Beschluss zum Bau gefasst? Ein solch umfangreiches und komplexes Projekt erfordert ein erstklassiges Management der Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse, der Informationsströme und der fachlichen Kompetenzen. Angesichts des Einfallsreichtums, der Erfindungsgabe und der Intelligenz, welche die Menschen jener Zeit beim Bau der Wasserleitung zeigten, lässt sich erkennen, dass die Entscheidungsträger damals schon einen ausgefeilten strategischen Ansatz für die Verwaltung ihrer Stadt hatten. Selbstverständlich war das damalige wirtschaftliche und soziale Umfeld ein anderes, doch die zu berücksichtigenden Bereiche glichen denen von heute sehr: allgemeine Verwaltung, Erhebung von Steuern und Abgaben, Stadtplanung, Bauvorhaben, Bausicherheit, Baubehörden, Strassenbau, Schulen und soziale Sicherheit. Der wesentliche Unterschied ist, dass sich heute die menschliche Arbeitskraft auf leistungsfähigere Technologien stützen kann, die den Wandel in schwindelerregender Weise beschleunigen. Damals wie heute war die Wasserversorgung ein zentrales Anliegen. Und damals wie heute war noch ein weiterer Bereich von strategischer Wichtigkeit: das Informationsmanagement.
Von der Wortherkunft bedeutet der Begriff Intelligenz: «zwischen etwas wählen, aussuchen aus (einer Gesamtheit)». Demnach könnte man Intelligenz als die Fähigkeit definieren, Informationen zu sammeln, auszuwählen und zu verarbeiten, um ein Ziel zu erreichen. Mit den derzeitigen Technologien lassen sich Informationen in einem Masse erzeugen, sammeln und speichern, welche unsere Vorstellungskraft übersteigt.
Mehr noch als die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts bewirkt die digitale Revolution einen Wandel, der nicht nur Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen, sondern auch die Ausbildung, die Entwicklung von Kompetenzen sowie Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse betrifft. In einer vernetzten Welt, in der die technische Entwicklung rasend schnell voranschreitet, ist es unabdingbar, dass man nicht nur in seinem angestammten Bereich, sondern auch vernetzt in der Gemeinschaft und reflektiert arbeitet. Es gilt, die Entwicklung einer kollektiven menschlichen Intelligenz zu fördern.
Als erstes Glied im demokratischen System der Schweiz verarbeiten die Gemeinden eine erhebliche Menge Daten. In sämtlichen Zuständigkeitsbereichen nimmt die Anzahl der Informationsquellen zu, ebenso wie die Möglichkeiten, um direkt mit der Bevölkerung zu kommunizieren, die erwarteten Dienstleistungen bereitzustellen, die Infrastruktur zu verwalten und die internen Prozesse zu managen.
Gemeinden sind auf mehreren Ebenen gefordert; sie müssen:
Intelligenz zeigt sich auf Gemeindeebene in der Art und Weise, wie die Behörden für die Erbringung von Leistungen und die Bereitstellung von Serviceangeboten Daten sammeln und verarbeiten. Allerdings geht es dabei nicht nur um technologische, sondern auch um strategische und organisatorische Aspekte.
Die Technologie soll den Menschen bei seinen Aufgaben in der Verwaltung und bei der Bereitstellung von Gemeindeleistungen unterstützen, ohne jedoch eine strategische Ausrichtung zu definieren. Letztere ergibt sich vielmehr aus der Vision der Behörden für die Entwicklung der Gemeinde sowie aus der Umsetzung ihres Auftrags. Ein wichtiger Auftrag einer Gemeinde ist es, die Lebensqualität der Einwohner von heute wie der von morgen auf lokaler Ebene zu bewahren und zu entwickeln. Angesichts des schnellen Wandels der aktuellen ökologischen Fragestellungen ist es unabdingbar, das Thema Nachhaltigkeit in diesen Prozess miteinzubeziehen.
Nachhaltigkeit ist ein Ziel. Intelligenz ist eine Ressource. Eine «Smart City» ist daher eine Gemeinde, die die technologische und menschliche Intelligenz zur Bewahrung der Lebensqualität ihrer Einwohner und damit zum Erreichen von Nachhaltigkeit nutzt.
«Eine intelligente und nachhaltige Gemeinde/Stadt ist eine innovative Körperschaft, die Kommunikationstechnologien und andere Ressourcen einsetzt, um die Lebensqualität, die Effizienz der Verwaltungsführung und der kommunalen Dienstleistungen zu verbessern, und dabei zugleich die Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich berücksichtigt.»
Wichtig zu erwähnen ist, dass das vornehmliche Anliegen der Bevölkerung nicht etwa die «Intelligenz» der Gemeinde, sondern die Lebensqualität ist. Ebenso muss betont werden, dass die aktuellen Technologien trotz ihrer Leistungsfähigkeit auch Grenzen haben. Problematisch ist ihr Energieverbrauch und ihr Verbrauch von knappen, kritischen Ressourcen. Die Frage nach dem massvollen Einsatz digitaler Technologien und nach dem verantwortungsvollen Umgang mit Daten ist ebenfalls ein zu berücksichtigender Aspekt. Ebenso lässt sich die Intelligenz der Gemeinden an ihrer Resilienz messen, wenn es darum geht, auf unvorhergesehene Ereignisse oder Katastrophen zu reagieren; in diesem Zusammenhang wird es überaus nützlich sein, aus der Corona-Pandemie entsprechende Lehren zu ziehen. Unabhängig von ihrer Grösse stehen die Gemeinden bei der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung in der Pflicht. Sie haben eine Vorbildfunktion.
Wie sehr eine Gemeinde die kollektive Intelligenz ihrer Behördenmitglieder und Verwaltungsexperten nutzen kann, ist auch abhängig von ihrer Struktur und Ablauforganisation.
Mitgliedern der Exekutiven obliegt naturgemäss zuerst einmal die strategische Steuerung. Doch als Ressortverantwortliche sind sie ebenso mit Fragen der Personalverwaltung und des Managements der in der Verwaltung verfügbaren Kompetenzen wie auch mit Steuerungs-, Planungs- und Überwachungsaspekten betraut. Allerdings sollte es keine Überschneidungen mit den Management- und Entscheidungsebenen innerhalb der organisatorischen Einheiten der Verwaltung geben. Es geht gewissermassen um eine Frage der richtigen «Dosierung». Eine häufig anzutreffende Situation betreffend falscher Dosierung ist das Silodenken. Dies führt zur Verwässerung von Verantwortlichkeiten und zum Verlust der Kontrolle beim Management von Querschnittsprojekten. Die Rolle der Exekutive beschränkt sich damit auf die Zustimmung zu Projekten, die zwischen dem Ressortleiter und seiner Abteilung ausgearbeitet und diskutiert worden sind. In diesem Fall sind die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Serviceangebote und Leistungen der Gemeinde deutlich reduziert, da sie sich auf den Bereich eines einzelnen Ressorts beschränken.
Um die Nutzung der kollektiven Intelligenz anzuregen, ist es notwendig, ressortübergreifende und flexible bis agile Arbeitsweisen sowohl in der Exekutive als auch in der Verwaltung zu stärken. Wesentlich für diesen Ansatz sind folgende Punkte:
Ob sich eine Gemeinde selbst als «smart» bezeichnet oder nicht, sicher ist: Gemeinden wählen und nutzen neue Technologien, um besser mit ihren Einwohnern interagieren und die Verwaltung und Infrastruktur «intelligenter», effizienter und ökonomischer managen zu können.
Zur Entwicklung und Förderung von Innovationen haben bestimmte Städte (wie beispielsweise Basel) Smart Labs gegründet, in denen verschiedene Akteure aus Industrie, Wissenschaft und dem öffentlichen Sektor zusammenarbeiten. Diese Smart Labs haben zum Ziel, neue Ideen und Technologien für Mobilität, Logistik und Stadtplanung zu testen. Die eigentliche Herausforderung für grosse wie kleine Gemeinden besteht jedoch darin, für sich zu klären, weshalb sie eine bestimmte Technologie nutzen wollen. Auch muss sich die Gemeinde die Frage stellen, ob diese Technologie nützlich und notwendig ist, um die gegenwärtige Situation zu verbessern. Hierfür wiederum bedarf es einer Vision.
Die Lebensqualität muss als roter Faden dienen, um diese Vision zu definieren: Was möchten wir für unsere Einwohner erreichen, was möchten wir bewahren, was möchten wir weiterentwickeln und verändern? Bei der Erarbeitung dieser Vision sollten Nachhaltigkeit, Umwelt- und Ressourcenschutz angemessen berücksichtigt werden. Ebenso sollten die Behörden dabei Konzepte entwickeln für die Verwaltung des Kulturerbes und der Infrastruktur, für die Weiterentwicklung von Mobilitätsangeboten, für die Bewirtschaftung von Flächen, für Sicherheitskonzepte sowie Begleit- und Hilfsangebote für Bedürftige und Ältere, für das Ausbildungs- und Schulwesen und für Krippen. Angesichts des hohen Veränderungstempos und der wachsenden Komplexität ist die Erarbeitung einer Vision ein wesentlicher Schritt. Eine Vision dient als Filter und ermöglicht so die Auswahl und Priorisierung von Projekten sowie der zu ergreifenden Massnahmen. Sie ermöglicht es der Gemeinde, sich anzupassen und die Angemessenheit ihres Handels im Rahmen eines kontinuierlichen, partizipativen Verbesserungsprozesses zu überprüfen.
Rohdaten sind in der Regel nutzlos. Sie werden erst nützlich, wenn sie sich in Informationen verwandeln, mit denen die zuvor definierten intelligenten Funktionen gefüttert werden können. Durch den Aufbau eines adäquaten Monitoring- und Berichtssystems verwandelt die Gemeinde Daten in Informationen für ihre intelligenten Tools. Damit verschafft sie sich die Ressourcen, um die Umsetzung ihrer Vision zu steuern.
Durch die neuen Technologien ergeben sich enorme Potenziale für die Datennutzung. Nützlich sind Indikatoren jedoch erst dann, wenn sie unter Beachtung der folgenden Kriterien sorgfältig ausgewählt und miteinander kombiniert werden:
Neben zahlreichen allgemeinen Rahmenbedingungen und Leitlinien zur Verbesserung der Funktion der Städte und zum Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen hat die Internationale Organisation für Normung (ISO) 2019 zwei neue Normen für Indikatoren zur Bewertung der Intelligenz (ISO 37122) und der Resilienz (ISO 37123) von Städten veröffentlicht.
BDO kann auf Kompetenzen in den Bereichen Governance, Organisation und öffentliche Finanzen sowie Projektmanagement zugreifen, um bei der Implementierung von «agileren» Verwaltungsstrukturen und bei der Ausarbeitung von Visionen und strategischen Projekten zu unterstützen. Im Bereich der «Smart Cities» ist BDO mit Leistungserbringern vernetzt, um Kompetenzen im Aufbau von intelligenter Infrastruktur ganzheitlich zu erbringen.
Unsere Expertinnen und Experten von BDO und publicXdata stehen Ihnen gerne beratend und unterstützend zur Seite.
Hier finden Sie die den vollständigen Gemeindebrief als PDF zum Download: