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Seit dem Inkrafttreten des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (FinfraG), der Finanzmarktinfrastrukturverordnung (FinfraV) und der Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMA (FinfraV-FINMA) am 1. Januar 2016 weichen die Praktiken und Interpretationen der Marktteilnehmer stark voneinander ab, insbesondere in Bezug auf die grundsätzliche Frage, ob sie ihren Status als Gegenpartei qualifizieren sollen.
Unter anderem führt das FinfraG aufsichtsrechtliche Anforderungen für den Derivatehandel in der Schweiz ein, welche sich an die European Market Infrastructure Regulation (EMIR) anlehnen. Die Ziele belaufen sich auf die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und Transparenz der Effekten- und Derivatemärkte, die Stabilisierung des Finanzsektors, der Schutz der Finanzmarktteilnehmer, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Gleichbehandlung der Anleger.
Grundlagen
Klassifizierung
Der erste Schritt eines Unternehmens ist die Festlegung seiner Klassifizierung. Dies kann Fallstricke bergen, welche es zu vermeiden gilt.
Für die Bestimmung der Grösse der finanziellen Gegenparteien (Financial Counterparties, FCs) wurde ein Schwellenwert von CHF 8 Milliarden definiert, der über einen Zeitraum von 30 Geschäftstagen für alle ausstehenden OTC-Derivat-Transaktionen berechnet wird. Wird der definierte Schwellenwert überschritten, gilt die Gegenpartei als «gross», liegt die betreffende Position unter dem Schwellenwert, wird die Gegenpartei als «klein» betrachtet.
Als nicht-finanzielle Gegenpartei (NFC) klassifiziert sich ein Unternehmen, wenn die gleitenden Durchschnittsbruttopositionen im Durchschnitt über die letzten dreissig Tage in den massgebenden, ausstehenden OTC-Derivatgeschäften unter den aufgeführten Schwellenwerten liegen:
Kategorien von Derivaten | Schwellenwerte |
Aktienderivate | CHF 1.1 Milliarden |
Kreditderivate | CHF 1.1 Milliarden |
Zinsderivate | CHF 3.3 Milliarden |
Devisenderivate | CHF 3.3 Milliarden |
Rohwarenderivate, sonstige Derivate | CHF 3.3 Milliarden |
Je nach Klassifizierung, d.h. grosse finanzielle Gegenpartei (FC+), kleine finanzielle Gegenpartei (FC-), grosse nicht-finanzielle Gegenpartei (NFC+) und kleine nicht-finanzielle Gegenpartei (NFC-) ergeben sich unterschiedliche Pflichten.
Die wesentlichen Pflichten lassen sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen:
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FC+ |
FC- |
NFC+ |
NFC- |
Abrechnungspflicht (Clearing) |
Ja |
Nein |
Ja |
Nein |
Meldepflicht an ein Transaktionsregister |
Ja |
Ja |
Ja |
Ja |
Risikominderungspflichten: |
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Ja |
Ja |
Ja |
Ja |
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Ja |
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Ja |
Ja |
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Nein |
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Ja |
Nein |
Ja |
Nein |
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Ja |
Ja |
Ja |
Nein |
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Ja |
Nein |
Ja |
Nein |
Abrechnungspflicht (Clearing)
Das FinfraG sieht vor, dass bestimmte Derivate von einer zentralen Gegenpartei abgerechnet werden müssen. Die zentrale Abrechnungspflicht gilt nicht bei Geschäften mit kleinen Gegenparteien oder bei Geschäften solcher Gegenparteien untereinander. Sie betrifft folglich nur grosse finanzielle und nicht-finanzielle Gegenparteien.
Meldepflicht an ein Transaktionsregister
Es besteht eine Meldepflicht über Geschäfte mit Derivaten, die nicht über einen Handelsplatz gehandelt werden (OTC-Derivatgeschäfte) und börsengehandelte Derivate (ETD). Als entsprechende Handelsplätze hat die FINMA die SIX Trade Repository SA in Zürich und die Regis-TR S.A. mit Sitz in Luxemburg als zentrale Transaktionsregister anerkannt.
Die Derivatgeschäfte sind jeweils nur von einer Gegenpartei zu melden. Dabei sind folgende Regeln zu beachten:
- bei Geschäften zwischen einer finanziellen und einer nicht-finanziellen Gegenpartei muss immer die finanzielle Gegenpartei melden;
- bei Geschäften zwischen zwei nicht-finanziellen Gegenparteien ist die verkaufende Partei meldepflichtig;
- bei Geschäften zwischen einer nicht-finanziellen Gegenpartei und einer kleinen nicht-finanziellen Gegenpartei obliegt die Meldepflicht der nicht-finanziellen Gegenpartei;
- bei Geschäften zwischen zwei kleinen nicht-finanziellen Gegenparteien besteht keine Meldepflicht. Diese Konstellation dürfte wahrscheinlich hauptsächlich bei gruppeninternen Transaktionen vorkommen.
Diese Reihenfolge gilt grundsätzlich auch bei Derivatgeschäften mit einer ausländischen Gegenpartei. Wäre eine ausländische Gegenpartei nach der obigen Hierarchieregelung meldepflichtig und unterlässt sie die Meldepflicht oder meldet sie dies an ein nicht bewilligtes oder anerkanntes Transaktionsregister, so ist die schweizerische Gegenpartei zur Meldung verpflichtet. Die schweizerische Gegenpartei muss daher nachfragen, ob die ausländische Gegenpartei ihrer Meldepflicht nachgekommen ist.
Risikominderungspflichten
Risikominderungspflichten gelten für OTC-Derivatgeschäfte, die nicht über eine anerkannte zentrale Gegenpartei abgerechnet werden. Das FinfraG schreibt dazu die in der Tabelle unter Risikominderungspflichten aufgeführten Punkte vor. Im Folgenden soll unser Verständnis der Punkte Bestätigung der vertraglichen Bestimmungen, die Portfolioabstimmung und Portfoliokompression kurz erläutert werden:
- Formalisierung der vertraglichen Pflichten
Die Parteien müssen sich gegenseitig über die Klassifizierung der Gegenpartei gemäss FinfraG und die Risikominderungs- und Meldepflichten informieren. Dies muss in einem Rahmenvertrag wie beispielsweise dem ISDA-Rahmenvertrag geregelt werden.
Für Schweizer Banken besteht zur Erfüllung der entsprechenden Pflichten ein Mustervertrag, welcher auf der Homepage der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) heruntergeladen werden kann. [1] Die von der SBVG erarbeitete Vereinbarung kann als Grundlage für die entsprechenden Pflichten verwendet und an die spezifischen Bedürfnisse angepasst werden. Sie berücksichtigt im Gegensatz zu den meisten anderen Musterverträgen auch spezifisch schweizerischen Punkte des FinfraG.
Haben die Parteien den Gegenstand dieser Vereinbarung bereits in einer anderen Vereinbarung getroffen, so gelten bei Widersprüchen die strengeren Pflichten, sofern die Pflichten des FinfraG eingehalten werden. Der FinfraG-Vertrag muss Vorrang vor allen Unterlagen haben, die die Geschäfte regeln.
- Verfahren zur Streitbeilegung zwischen den Gegenparteien
Beim Abschluss eines OTC-Derivatgeschäfts müssen die Vertragsparteien auch Verfahren definieren, um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien frühzeitig zu erkennen und diese auszuräumen. Diese Vereinbarung ist in marktüblichen Verträgen wie der ISDA-Vereinbarung oder den Schweizer Rahmenverträgen für OTC-Derivate bereits enthalten.
- Portfolioabstimmung
Wichtig ist dabei, dass die Modalitäten zur Abstimmung der Portfolios vor Abschluss eines OTC-Derivatgeschäfts zu vereinbaren sind. Die Abstimmung umfasst die wesentlichen Bedingungen der abgeschlossenen OTC-Derivatgeschäfte und deren Bewertung. Diese kann auch von einem beigezogenen Dritten (einschliesslich einer Gruppengesellschaft) vorgenommen werden (Art. 96 Abs. 1 – Abs. 3 FinfraV).
Die Portfolioabstimmung ist bei 500 oder mehr zwischen den Gegenparteien ausstehenden OTC-Derivatgeschäften an jedem Geschäftstag durchzuführen. Sind zwischen 51 bis 499 OTC-Derivatgeschäfte ausstehend, hat die Abstimmung wöchentlich zu erfolgen. Sofern 50 und weniger OTC-Derivatgeschäfte zwischen den Gegenparteien ausstehend sind, genügt eine quartalsweise durchgeführte Portfolioabstimmung (Art. 96 Abs. 4 FinfraV).
Die Pflicht zur Portfolioabstimmung gilt nicht bei Transaktionen mit einer kleinen nicht-finanziellen Gegenpartei (Art. 108 Bst. b FinfraG).
- Portfoliokompression
Mit der Portfoliokompression sollen gegenläufige Verpflichtungen glattgestellt werden, um das Gegenparteirisikos zwischen den Handelspartnern zu verringern. Die Portfoliokompression ist mindestens zweimal jährlich durchzuführen. Sie ist aber nur notwendig, wenn zwischen den Gegenparteien 500 oder mehr nicht zentral abgerechnete OTC-Derivatgeschäfte offenstehen (Art. 108 Bst. c FinfraG).
Dokumentationspflicht / Prüfung durch Revisionsstelle
Es versteht sich von selbst, dass die obgenannten Prozesse durch die Gesellschaften festgehalten werden müssen. Aber auch ein Unternehmen, das als nicht-finanzielle oder kleine nicht-finanzielle Gegenpartei qualifiziert, hat die Abläufe schriftlich festzuhalten (z. B. in einer Weisung), mit denen es die Umsetzung der nachfolgenden Pflichten gemäss FinfraG sicherstellt (Art. 113 FinfraV). Dabei sind die folgenden Punkte zu beachten:
- Ermittlung Schwellenwerte
- Abrechnung über eine zentrale Gegenpartei;
- Meldung an ein Transaktionsregister;
- Risikominderungspflichten
- Plattformhandelspflicht
Die Einhaltung der Pflichten zum Derivatehandel wird im Rahmen der ordentlichen Revision bzw. den durch die FINMA beaufsichtigten Finanzintermediären im Rahmen der Aufsichtsprüfung seit dem Geschäftsjahr 2017 periodisch geprüft.