FINMA-Rundschreiben «Verhaltenspflichten nach FIDLEG/FIDLEV

Mit dem FINMA Rundschreiben «Verhaltenspflichten nach FIDLEG/FIDLEV» vom 15. Mai 2024 werden die Transparenzvorschriften der Finanzdienstleister gegenüber ihren Kundinnen und Kunden verschärft und mit den Erfahrungen aus der Praxis der FINMA präzisiert. Was verspricht sich der Schweizer Finanzplatz von den «Neuerungen»?

Das FINMA-Rundschreiben findet direkt Anwendung bei Banken, Vermögensverwaltern (inkl. Verwalter von Kollektivvermögen), Fondsleitungen und kontoführenden Wertpapierhäusern, welche das FIDLEG/FIDLEV seit dem Ablauf der Übergangsfrist per 1. Januar 2022 bereits weitestgehend umzusetzen haben. Es betrifft namentlich Transparenzforderungen zur:

  • Art der erbrachten Finanzdienstleistung;

  • zu den mit Finanzinstrumenten oder -dienstleistungen verbundenen Risiken;

  • zum Umgang mit Interessenskonflikten;

  • zur Offenlegung von Retrozessionen.

Informationspflichten (Art. 8 FIDLEG /Art. 7 FIDLEV)

Finanzintermediäre, die Anlageberatungsdienste anbieten, müssen die Art der Beratung (Portfolio- oder Transaktionsberatung) detaillierter beschreiben. Dies bezweckt insbesondere den Schutz von Privatkundinnen und -kunden, die eine Transaktionsberatung in Anspruch nehmen, da die Finanzintermediäre für diese Dienstleistungen keine Eignungsprüfung, sondern lediglich eine Angemessenheitsprüfung vornehmen müssen. Durch die Erfassung der Erfahrungen und Kenntnissen der Kundinnen und Kunden soll sichergestellt werden, dass diese die empfohlenen Finanzinstrumente ausreichend verstehen. Demgegenüber setzt die Eignungsprüfung voraus, dass empfohlene Finanzinstrumente unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Finanzsektor, der finanziellen Situation, dem Risikoappetit sowie der individuellen Anlageziele geeignet sind.

Weiter müssen die Finanzintermediäre ihre Kundschaft umfangreicher über angebotene «Differenzkontrakte» (sog. CFD's) informieren. Dazu zählt insbesondere der Anteil der Kundinnen und Kunden, welche die Dienstleistungen gekündigt haben, die mögliche Verpflichtung zu Nachschusszahlungen, das potenzielle Risiko unbegrenzter Verluste sowie die technischen Besonderheiten des Instruments (wie z.B. Hebelwirkung, Marge, Gegenpartei- und Marktrisiko etc.). Damit passt die FINMA die Regeln weitestgehend den europäischen Anforderungen an und formalisiert ihre Praxis.  Durch das Fehlen einer griffigen Definition von Differenzkontrakten weitet sich der Anwendungsbereich unweigerlich auf eine unüberschaubare Zahl von Derivat- und Termingeschäften aus. Dies betrifft dadurch auch diejenigen Geschäfte, deren Zweck die Minderung von Marktrisiken darstellt. Namentlich sind dies gewöhnliche Optionen, welche zur Absicherung von Kursänderungsrisiken bei bestehenden Anlagen dienen. 

Die eingeführten Schwellenwerte marktunüblicher Risikokonzentrationen von 10% für einzelne Wertpapiere und 20% pro Emittent pro Portfolio, welche eine tiefergehende Informationspflicht anzeigen können, stellen mit Hinblick auf die fehlende Gesetzesgrundlage im FIDLEG, entgegen der Erstauffassung in der Branche, keine strikte Grenze dar, sondern werden von der FINMA als Richtschnur verwendet. Die Notwendigkeit tiefergehender Aufklärungspflichten ist nach wie vor spezifisch pro Portfolio gesondert unter Berücksichtigung der Anlagestrategie mit geeigneter Risikodiversifikation zu bestimmen.
 

Angemessenheits- und Eignungsprüfung (Art. 11f. FIDLEG / Art. Art. 16f. FIDLEV)

Die Präzisierungen der FINMA sehen vor, dass Finanzintermediäre neu für jede angebotene Anlagekategorie, damit auch für die diskretionäre Vermögensverwaltung, die Kenntnisse und Erfahrungen ihrer Kundschaft bezüglich der spezifischen Dienstleistung erfassen und ausreichend dokumentieren müssen. In der Praxis wird damit ein Re-Papering der Kundendokumentation bzw. eine nachträgliche Einholung der benötigten Informationen notwendig.

Interessenkonflikte (Art. 8 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 25 FIDLEG / Art. 10 und 24-28 FIDLEV)

Die FINMA bestätigt die Pflicht, die Kundinnen und Kunden über Interessenkonflikte und damit verbundene Risiken aufzuklären, insbesondere wenn zum Teil oder ausschliesslich eigene Finanzinstrumente (d.h. Fonds, AMCs etc.) eingesetzt werden. Zu den «eigenen Finanzprodukten» zählen gemäss der vorläufigen Definition nicht nur vom Finanzintermediär selbst ausgegebene Produkte, sondern auch diejenigen von Drittemittenten, sofern diese vom Finanzintermediär kontrolliert werden oder in anderer Weise eng verbunden sind (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 FIDLEV). 

Beim Einsatz von fremden Produkten haben Finanzintermediäre sicherzustellen, dass sie sich bei der Auswahl der Finanzinstrumente nicht von eigenen Interessen zum Nachteil der Kundinnen und Kunden leiten lassen. Der Selektionsprozess muss anhand branchenüblicher, objektiver Kriterien wie der Performance-Erwartung, Übereinstimmung mit dem Risikoprofil, gewünschte Diversifikation und Kosten geschehen. Ausserdem muss eine Trennung zwischen den Einheiten, welche für die Konzeption oder Verwaltung der Produkte zuständig sind, und denjenigen, welche die Produkte verwalten, vorgenommen werden. Insbesondere letztere widersprechen jedoch den Organisationsanforderungen des FINIG/FINIV, welche keine vertikale Funktionentrennung vorsehen.

Retrozessionen (Art. 26 FIDLEG / Art. 29 FIDLEV)

Obschon die Transparenzvorschriften zu einer rückläufigen Entwicklung der Entschädigungen von Dritten geführt haben, stellt die FINMA weiterhin hohe Anforderungen an deren Offenlegung. In der Praxis hat sich gezeigt, dass der Vorausverzicht auf Entschädigungen der Kundschaft durch eine pro-forma-Klausel im Verwaltungs- bzw. Beratungsvertrag nicht genügt. Insbesondere unerfahrene Kundinnen und Kunden weisen häufig kein oder ein ungenügendes Verständnis zur Art, Häufigkeit und der Höhe von Retrozessionen auf und können demzufolge faktisch auch keinen genügenden Verzicht statuieren.

Die FINMA beabsichtigt das Augenmerk der Kundinnen und Kunden aktiver auf die jeweilige Entschädigungspolitik zu lenken, indem die Finanzdienstleister zur optischen Hervorhebung der effektiven Retrozessionen verpflichtet werden. Ist die genaue Höhe der Entschädigungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht feststellbar, sind die Berechnungsparameter und Bandbreiten der potenziellen Entschädigungen vertraglich zu fixieren.

Weiter muss der Kundschaft auf Anfrage eine detaillierte Aufstellung der für die jeweilige Geschäftsbeziehung erhaltenen Entschädigungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Dies hat für Finanzintermediäre insbesondere zur Folge, dass die Dienstleistungsverträge überarbeitet und für jegliche Kundinnen und Kunden ein sog. Re-Papering durchgeführt werden muss.

Fazit

Die FINMA greift mit dem Rundschreiben «Verhaltenspflichten nach FIDLEG/FIDLEV» wichtige, in der Branche bereits seit mehreren Jahren dringend erwartete Präzisierungen in der Umsetzung der Verhaltens- und Informationspflichten auf. Der späte Zeitpunkt der Konkretisierung der Anforderungen für Finanzdienstleister, insbesondere an Privatkunden als Anleger, stellt die Adressaten vor grössere Herausforderungen. Die Praxis hat sich nämlich bereits weitestgehend entwickelt und nötige Anpassungen, insbesondere betreffend die Kundendokumentation, wurden zwischenzeitlich vorgenommen. Im Rahmen einer Überarbeitung des Rundschreibens, dessen Anhörungsfrist am 15. Juli 2024 verstrichen ist, gilt es für die FINMA, eine zweckmässige Leitlinie zu finden. Diese sollte die bisherigen Bestrebungen der Finanzintermediäre berücksichtigen und etwaige Definitions- sowie Anwendbarkeitslücken schliessen, um eine umsetzbare und möglichst effiziente «Best Practice» zu etablieren.