Ausgelagert und doch öffentlichem Beschaffungsrecht unterstellt (Teil 1)
Ausgelagert und doch öffentlichem Beschaffungsrecht unterstellt (Teil 1)
Der Trend zur Auslagerung von Dienstleistungen und Institutionen aus der öffentlichen Hand bringt Klärungsbedarf zur Unterstellung dieser Einrichtungen unter das öffentliche Beschaffungsrecht. Ausgelagert zu sein, bedeutet keineswegs automatisch, dass der Geltungsbereich des Submissionsrechts verlassen wurde. Inwieweit das neue Beschaffungsrecht auf kantonaler bzw. kommunaler Ebene für Pflegeheime, Kliniken/Spitäler und Spitex-Organisationen anzuwenden ist, erfahren Sie in diesem Artikel.
Am 1. Januar dieses Jahres trat das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, SR 172.056.1) in Kraft. Parallel dazu wurde die interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB 2019) revidiert. Ziel war, das Beschaffungsrecht (auch: Submissionsrecht, Vergaberecht) auf kantonaler und Bundesebene zu harmonisieren sowie das WTO-Übereinkommen über das Beschaffungswesen (GPA 2012) in das Landesrecht zu überführen.
Hinweis: In unserem nächsten Newsletter beleuchten wir die Situation für Altersheime, Heime, Wohn- und Tagesstätten sowie übrige NPOs.
1. Herausforderung
Für die Unterstellung dieser Institutionen unter das Beschaffungsrecht ist vorab zu prüfen, ob aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 10 IVöB das Beschaffungsrecht nicht anwendbar ist. Im Anschluss ist der subjektive und der objektive Geltungsbereich zu prüfen. Es wird somit danach gefragt, ob die betreffende Institution sowie die zu beschaffenden Güter im konkreten Fall dem Beschaffungsrecht unterstellt sind. Ist die Unterstellung zu bejahen, ist die Verfahrensart anhand des geschätzten Beschaffungswertes für die betreffende Dienstleistung zu eruieren. Aufgrund der Schwellenwerte bestimmt sich zudem, ob die Beschaffung in den Anwendungsbereich eines Staatsvertrages fällt.
Aufgrund der Komplexität der Materie und vielseitigen Möglichkeiten der jeweiligen Leistungserbringung kann nicht auf jede mögliche Konstellation eingegangen werden. Vorliegend werden dennoch Kernfragen der Unterstellung unter das Beschaffungsrecht anhand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.
2. Subjektiver Geltungsbereich
a) Unterstellung
Beim Beschaffungsrecht wird zwischen dem Staatsvertragsbereich und dem Nichtstaatsvertragsbereich unterschieden. Unterstellt auf kantonaler bzw. kommunaler Ebene sind:
Staatsvertragsbereich |
Nichtstaatsvertragsbereich |
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Zusätzlich
|
Bis anhin war der Begriff «Einrichtung des öffentlichen Rechts» nur schwer fassbar und musste über die Rechtsprechung sowie die Anhänge des GPA eruiert werden. Im neuen Recht ist dies in Art. 3 lit. f IVöB 2019 definiert. Es handelt sich dabei um jede Einrichtung:
- die zum besonderen Zweck gegründet wurde,
- im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,
- Rechtspersönlichkeit besitzt; und
- überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs‐, Leitungs‐ oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.
Nachfolgend werden zwei Leitentscheide des Bundesgerichtes analysiert, die in Bezug auf die sich stellenden Fragen wegweisend sind.
b) Kliniken und Spitäler
Betreffend Unterstellung eines Spitals ist das sogenannte «GZO Urteil» wegweisend. Das Bundesgericht hat im Leitentscheid 2C_196/2017 vom 21. Februar 2019 bestätigt, dass auch privatrechtlich organisierte Listenspitäler dem Beschaffungsrecht unterstehen.
Das Spital Wetzikon wird von der GZO AG, einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft, getragen. Sämtliche Aktien sind im Besitz der beteiligten Gemeinwesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass es sich um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts handelte, welche grundsätzlich dem Beschaffungsrecht unterstellt ist. Zentral für die weitere Unterstellungsfrage war insbesondere die Frage der Gewerblichkeit.
Das Kriterium der Gewerblichkeit ist eng mit dem Ziel des Beschaffungsrechts, einen wirksamen Wettbewerb sicherzustellen, verknüpft. Solange wirksamer Wettbewerb herrscht, ist eine Unterstellung nicht angezeigt. Wirksamer Wettbewerb ist gegeben, wenn der Staat wie ein privates Wirtschaftsobjekt tätig ist. Dies setzt eine Konkurrenzsituation zu Privaten auf funktionierenden Märkten voraus. Vorliegend wurde die Gewerblichkeit verneint.
Der hauptsächliche Zweck der GZO AG besteht in der «Sicherstellung des akutstationären Leistungsauftrags des Kantons Zürich im Zürcher Oberland». Seinem Zweck entsprechend ist das Spital für verschiedene Leistungen im Bereich der Akutsomatik auf der Spitalliste des Kantons Zürich im Sinne von Art. 39 Abs. 1 lit. e des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (Krankenversicherungsgesetz, KVG; SR 832.10) aufgeführt. Die Aufnahme in die kantonale Spitalliste stellt eine Voraussetzung dar, damit Spitäler als Leistungserbringer zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen sind (Art. 35 Abs. 1 und 2 lit. h i.V.m. Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG).
Trotz der Verstärkung des Wettbewerbsgedankens des revidierten KVG zwischen den Spitälern kommt planwirtschaftlichen Elementen in diesem Bereich weiterhin massgebliche Bedeutung zu. Die Preisbildung für akutstationäre Behandlungen im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung erfolgt in wesentlichen Punkten nach staatlich definierten Kriterien. Nicht gelistete Spitäler haben daher einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Damit stehen Listenspitäler nicht im freien Wettbewerb, womit die Gewerblichkeit zu verneinen ist. Zudem trägt die Einrichtung das wirtschaftliche Risiko ihres Geschäftsverhaltens nicht selbst. Die Aktionäre sind nicht verpflichtet, allfällige Verluste der GZO AG zu tragen. Was relativiert wird, indem die Aktien im Verwaltungsvermögen gehalten werden und damit unmittelbar der öffentlichen Aufgabenerfüllung dienen. Dies führt dazu, dass ein über die reine Werterhaltung der finanziellen Beteiligung hinausgehendes Interesse der Aktionärsgemeinden an der Aufrechterhaltung der GZO AG besteht, was die fehlende aktienrechtliche Nachschusspflicht relativiert.
Auch wenn sich das Urteil auf ein von der Gemeinde kontrolliertes Spital bezieht, hat es Auswirkungen auf gemischtwirtschaftliche und private Listenspitäler. Nebst Verwaltungseinheiten und sogenannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts unterstehen dem kantonalen Beschaffungsrecht sämtliche Träger von kantonalen und kommunalen Aufgaben mit Ausnahme ihrer gewerblichen Tätigkeiten. Listenspitäler, ob sie sich nun in öffentlichem, privatem oder gemischtem Besitz befinden, verfügen über einen staatlichen Leistungsauftrag im Bereich der Spitalversorgung. Sie sind folglich Träger kantonaler Aufgaben im vergaberechtlichen Sinn. Die Argumentation des Bundesgerichts, wonach im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung kein funktionierender Wettbewerb herrscht und daher auch keine gewerbliche Tätigkeit vorliegt, gilt gleichermassen für private Listenspitäler.
c) Pflegeheime
Es stellt sich nun die Frage, wie die Unterstellung von Pflegeheimen beurteilt wird. Leistungen in Pflegeheimen werden teilweise ebenfalls über die obligatorische Krankenversicherung versichert (Art. 25 KVG) bzw. über die kantonale Restfinanzierung bezahlt. Pflegeheime sind Leistungserbringer der obligatorischen Krankenkasse (Art. 35 Abs. 2 lit. k KVG) und werden ebenso wie Spitäler auf der kantonalen Liste geführt. Sind Pflegeheime somit auf einem Listenplatz des Kantons bzw. haben einen Leistungsauftrag vom Kanton, müsste synonym das Gleiche gelten wie beim GZO Entscheid: Das Beschaffungsrecht ist anzuwenden.
d) Spitex
In Bezug auf Spitex-Leistungen ist der Leitentscheid 2C_861/2017 vom 12. Oktober 2018 zu beachten. Die Vorinstanz war der Ansicht, dass die Vergabe von Spitex-Leistungen bzw. die Erteilung eines Leistungsauftrags an eine gemeinnützige Organisation nicht den Vorschriften des öffentlichen Beschaffungsrechts unterstünden aufgrund der Ausnahmeregelung in § 10 IVöB.
Der Beschwerdeführer stellt die Rechtsfrage, «ob die Beauftragung einer Spitex-Organisation mit der Erbringung von Leistungen der spitalexternen Pflege - insbesondere mit der Gewährleistung der Versorgungspflicht - einen öffentlichen Auftrag darstellt und somit vom objektiven Bereich der IVöB erfasst wird.»
Die Vorinstanz kam zum Schluss — und dies wurde vom Bundesgericht bestätigt —, dass es sich bei der spitalexternen Krankenpflege um eine öffentliche Aufgabe handelt, die primär in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden fällt. Dies ergibt sich einerseits aus Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Art. 35 Abs. 2 lit. e KVG, wonach grundsätzlich auch die spitalexterne Krankenpflege unter die sogenannten Pflichtleistungen gemäss Art. 24 KVG fällt. Zudem sah in dem Fall das kantonale Recht vor, dass die Gemeinden zuständig sind für die Planung und Sicherstellung eines bedarfsgerechten und qualitativ guten Angebots der ambulanten und stationären Langzeitpflege.
Mit Verweis auf Art. 10 Abs. 1 lit. a IVöB stellte die Vorinstanz fest, die Leistungsbeauftragung von ideell motivierten, gemeinnützig tätigen Organisationen sei kein öffentlicher Auftrag im Sinne des Beschaffungsrechts und unterstehe demgemäss auch nicht den beschaffungsrechtlichen Vorschriften. Diese Ausführungen wurden vom Bundesgericht verneint. Allein der Umstand, dass ein bestimmter Auftrag Dienstleistungen des Sozialbereichs zum Gegenstand hat, heisst nicht, dass dieser Auftrag für gewisse ideell motivierte Organisationen vom Vergaberecht nicht erfasst wird. Es geht mithin nicht um den Gegenstand des Auftrags und auch nicht um die damit verfolgten Ziele, sondern zunächst darum, ob der Auftragnehmer aus kommerziellen Motiven handelt und ob er auf kommerzieller Basis beauftragt wird.
Nur die Kombination aus nicht-kommerzieller grundsätzlicher Zwecksetzung der Institution, den im Einzelfall nicht-kommerziellen Absichten dieser Institution mit Bezug auf die fragliche Leistungserbringung sowie der tatsächlich nicht-kommerziellen Ausgestaltung des Geschäfts führt dazu, dass das Geschäft nicht als öffentlicher Auftrag gilt und dem Beschaffungsrecht damit nicht unterstellt ist.
Weiter ist die Absicht des Auftraggebers bzw. die Ausgestaltung der Ausschreibung von entscheidender Bedeutung. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin ein Einladungsverfahren durchgeführt, um den für sie günstigsten Anbieter von Spitex-Leistungen auszuwählen. Ziel war, die Spitexleistungen möglichst wirtschaftlich zu erbringen, was für die Beauftragung auf kommerzieller Basis spricht. Auch dieser Entscheid zeigt klar, dass die Erbringung von Leistungen der spitalexternen Pflege gestützt auf KVG als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren ist und damit vom Vergaberecht erfasst ist.
3. Objektiver Geltungsbereich
Damit das Beschaffungsrecht greift, muss es sich um einen öffentlichen Auftrag handeln. Dieser ist neu in Art. 8 IvÖB 2019 definiert:
«Ein öffentlicher Auftrag ist ein Vertrag, der zwischen Auftraggeber und Anbieter abgeschlossen wird und der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dient. Er ist gekennzeichnet durch seine Entgeltlichkeit sowie den Austausch von Leistung und Gegenleistung, wobei die charakteristische Leistung durch den Anbieter erbracht wird.»
Unterschieden werden Bauleistung, Lieferungen und Dienstleistungen (Abs. 2). Objektiv erfasst sind somit grundsätzlich sämtliche Beschaffungen, die der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe dienen und somit mit dem Leistungsauftrag zusammenhängen. Hängt eine Beschaffung nicht mit dem Leistungsauftrag des betreffenden Pflegeheimes bzw. Spitals zusammen, ist diese rein privatrechtlich und nicht vom Beschaffungsrecht erfasst.
4. Zusammenfassung
Eine Unterstellung unter das Beschaffungsrecht ist immer im Einzelfall zu prüfen. Es empfiehlt sich, vorab die Ausnahmetatbestände von §10 IVöB zu konsultieren. Greift eine der Ausnahme, ist keine Unterstellung gegeben.
Sodann ist die Subjektive Unterstellung zu prüfen. Hierzu muss es sich um einen Leistungserbringer gemäss Art. 35 Abs. 2 KVG handeln. Ist dies der Fall, ist relevant, ob der betreffende Leistungserbringer auf einer kantonalen Liste geführt wird bzw. einen Leistungsauftrag übernimmt. Damit übernimmt er einen öffentlichen Auftrag und steht nicht mehr im Wettbewerb wie ein Privater.
Falls der Leistungsträger nicht auf der Spitalliste ist, kann das Beschaffungsrecht dennoch greifen, wenn ein öffentlicher Auftrag besteht, wenn es sich um eine Verwaltungsstelle handelt und/oder bei Unterstützung durch den Staat, sprich mit staatlichen Geldern subventioniert wird.
Ist der betreffende Leistungsträger vom subjektiven Geltungsbereich erfasst, ist der objektive Geltungsbereich zu prüfen. Somit, ob es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt und ob die Beschaffung im Aufgabengebiet der Erfüllung des öffentlichen Auftrages dient. Ist dies zu bejahen, wird anhand der Auftragsart sowie der massgebenden Schwellenwerte das anzuwendende Verfahren bestimmt.